Warum die Finanzbranche mehr Philosoph:innen braucht

Maximilian-Runge-Segelhorst

von Maximilian Runge-Segelhorst LinkedIn-Logo | 13.09.2025

Geisteswissenschaft Finanzberatung Quereinstieg Philosophie Ökonomie

Als Sozial- und Religionsphilosoph habe ich mich auf der Uni viel mit der Frage befasst, wie unsere Gesellschaft eingerichtet sein müsste, damit jeder Mensch ein ethisch gutes Leben führen kann. Mir war dabei immer klar, dass unsere tatsächliche soziale Realität nicht durch die Philosophie geprägt ist, sondern primär durch die Wirtschaftswissenschaft – und dass ich mich, wenn ich die bestehende Gesellschaft studieren wollte, deshalb auch primär mit ökonomischen Zusammenhängen auseinanderzusetzen hätte.

Am Ende meines Studiums war „Ökonomie“ immer noch ein unbekanntes Land. Erst der biografische Zwang, mich selbst mit diesen schnöden Dingen wie Versicherungen und Altersvorsorge befassen zu müssen, öffnete mir die Tür in die Welt des Geldes und der Wirtschaft – und wies mir so den Weg in ein neues intellektuelles und berufliches Zuhause.

Geld als Forschungsfeld …

Ein Jahr lang las ich mir finanzielles Verbraucherschutzwissen an. Dann beschloss ich, mein neues Hobby als Berufung zu akzeptieren und absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Den vertriebspsychologischen Schulungen einer kaufmännischen Lehre zu widerstehen, fiel mir leicht. Die Einführung in die vorherrschende Lehrbuchökonomik in der Berufsschule erdulden zu müssen, war hingegen fast unerträglich.

Diesen Aspekt der Bankausbildung konnte ich nur deshalb ertragen, weil ich mich parallel in das weite Feld der Pluralen Ökonomik eingearbeitet habe, die zahlreiche Theoreme der Mainstreamlehre als widersprüchlich und falsch entlarvt. In diesem Zuge bin ich auch zur Modern Monetary Theory (MMT) gelangt, die sich empirisch mit unserem modernen Geldsystem und dem staatlichen Umgang mit Geld befasst. In akademischer Hinsicht bin ich deshalb heute als freier Wissenschaftler tätig und wurde schon des Öfteren als Referent für die MMT angefragt.

… und als Beruf

Nach bestandener Ausbildung wollte ich mich so schnell wie möglich selbständig machen, um unabhängig von Weisungen und Vorgesetzten agieren und beraten zu können. Das ist grundsätzlich möglich, indem man a) Einzelmakler:in wird, b) sich einem Maklerpool anschließt oder c) Handelsvertreter:in eines Unternehmens wird, das Finanzberatung und -vermittlung anbietet. Da in Deutschland nur die Zulassung, nicht aber die Ausbildung als Finanzberater:in gesetzlich reguliert ist, ist ein Quereinstieg als Selbständiger relativ leicht möglich. Als ausgelernter Bankkaufmann hatte ich bereits die Bedingungen für die Zulassung als Anlageberater erfüllt. Für die Zulassung als Versicherungsvermittler musste ich nochmal eine separate Prüfung vor einer IHK ablegen.

Mein Einstieg in die Selbständigkeit erfolgte über einen sogenannten Strukturvertrieb, in dem es nicht nur um das Anwerben neuer Kund:innen, sondern auch weiterer Vertriebspartner:innen geht. Strukturvertriebe sind für viele Quereinsteigende (zunächst) attraktiv, weil sie einen geordneten Übergang in die Selbständigkeit erlauben und einem dabei helfen, die erforderlichen Zulassungen zu erwerben. Dennoch hat man auch dort häufig mit strengen Hierarchien und krassem Vertriebsdruck zu tun – sobald mir das klargeworden ist, habe ich den Strukturvertrieb nach rund eineinhalb Jahren wieder verlassen.

Glücklich als Versicherungsmakler und Honorarberater

Heute bin ich Handelsvertreter der WertWende GmbH, eines kleinen Maklerunternehmens, das sich auf nachhaltige Geldanlagen und Honorarberatung spezialisiert hat. Nach fast vier Jahren Selbständigkeit betreue ich über 100 Mandant:innen. Sollte ich die Kooperation mit der WertWende irgendwann einmal beenden, dürfen meine Kund:innen mit mir ziehen – das ist eine für mich sehr vorteilhafte Regelung, die in der Branche leider immer noch ziemlich unüblich ist.

Als Versicherungsmakler berate ich anbieterunabhängig und helfe meinen Kund:innen mit Tarifvergleichen dabei, den jeweils optimalen Versicherungsvertrag zu finden. Leider bestehen in der Bevölkerung immer noch viele Unklarheiten darüber, was genau eine unabhängige Finanzberatung ausmacht: So sind etwa Mehrfachagenten unabhängiger als Versicherungsvertreter, Versicherungsmakler aber unabhängiger als Mehrfachagenten.

Als Honorarberater, der freiwillig auf die Entgegennahme von Abschlussprovisionen verzichtet, nehme ich eine Position zwischen Versicherungsmakler und Versicherungsberater ein. Eine neutrale Übersicht über die unterschiedlichen Zulassungen gibt etwa der vom iff Hamburg erarbeitete „Wegweiser Finanzberatung“, der online einsehbar ist. Zudem empfiehlt sich stets ein Blick ins Vermittlerregister (ebenfalls online) sowie auf das Impressum von Finanzdienstleistern, um herauszufinden, mit welcher Zulassung man es zu tun hat.

Es hat zwar eine Weile gedauert, aber heute kann ich von meiner Selbständigkeit gut leben. Mangelnde finanzielle und ökonomische Bildung bleiben in unserer Gesellschaft leider ein Dauerthema – und deshalb ist eine philosophisch informierte Finanzberatung so wichtig. Denn wenn es niemand anders macht, wird sich erst recht nichts verändern.

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