Und dann war ich plötzlich in der Politik. Von der Musikpädagogin zur kulturpolitischen Referentin.

Stefanie Schellin

von Stefanie Schellin LinkedIn-Logo | 29.09.2025

Kulturpolitik Musikpädagogik Kulturmanagement Politik Musikerziehung

Mein Einstieg in die Musikpädagogik

Musik hat in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt. Als ich mein Abitur gemacht hatte, war für mich schnell klar: Ich möchte Musik studieren. Während meines Studiums habe ich parallel im Musikverein unterrichtet und so schon früh praktische Erfahrungen gesammelt. Dadurch konnte ich direkt mit Kindern arbeiten und lernen, flexibel auf sie einzugehen. Der Unterricht war oft spontan, aber immer lebendig – mit viel direktem Kontakt zu den Kindern, ihren Familien und der Musik. Nach dem Studium begann ich meine erste feste Anstellung an einer öffentlichen Musikschule. Dort unterrichtete ich vor allem in der musikalischen Früherziehung und gab Klavierunterricht für verschiedene Altersgruppen. Durch die Unterrichtserfahrung die ich bereits während meines Studiums gesammelt hatte konnte ich mich gut auf den Berufsalltag einstellen. Es war eine intensive Zeit mit vielen Kindern und Gruppen, in der ich viel gelernt und die mich stark geprägt hat. Gleichzeitig absolvierte ich eine Weiterbildung als SBS-Lehrkraft (Singen – Bewegen – Sprechen) und war aktiv an der Einführung der Singpause beteiligt – ein musikpädagogisches Modell, das gemeinsames Singen in den Grundschulalltag bringt.

Wenn die Leidenschaft zur Belastung wird

Dann kam der Wechsel nach Frankfurt. Was vorher inspirierend und kreativ war, wurde nun zur Belastung. Mein Alltag bestand aus ständigen Ortswechseln, Gruppenunterricht mit zehn Kindern – oft zwei pro Keyboard –, mehreren Früherziehungsgruppen in Kindergärten und Grundschulen, Einzelunterricht am Abend. Mein Auto wurde zum Lagerraum für Instrumente, mein Kalender vollgetaktet – Pausen gab es kaum. Persönlicher Austausch? Fehlanzeige. Ich rannte durch Schulhöfe, um Schüler*innen aus dem Unterricht zu holen, wurde vom Hausmeister versehentlich eingeschlossen oder von der Schulleitung ermahnt, weil ich drei Stühle nicht hochgestellt hatte. Natürlich gab es sie, die schönen Momente. Kinderaugen, die strahlen, kleine Geschenke, liebe Worte. Aber sie reichten irgendwann nicht mehr aus, um die strukturellen Probleme zu kompensieren. Ich wurde müde. Nicht von der Musik – sondern vom System. In dieser Phase begann ich zusätzlich, an einer Grundschule zu unterrichten. Aufgrund des akuten Fachkräftemangels in Hessen war es auch ohne abgeschlossenes Schulmusikstudium möglich, dort als Musiklehrerin eingesetzt zu werden. Die Arbeit mit den Kindern war wertvoll – fachlich wie menschlich –, bedeutete aber eine weitere zeitliche und organisatorische Belastung. Hinzu kam, dass die versprochene Entfristung des Vertrags nie eingelöst wurde. Stattdessen wurde ich regelmäßig vor den Sommerferien entlassen und nach den Ferien erneut eingestellt. Wenn ein neuer Kollege mit Musikhintergrund kam, wurde ich kurzerhand an eine andere Schule abgeordnet. Diese Form der Beschäftigung war weder planbar noch verlässlich. Sie machte deutlich, wie wenig Stabilität selbst hochqualifizierte Arbeit im Bildungs- und Kulturbereich oft mit sich bringt – und wie sehr persönliche Leidenschaft als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

Neustart mit Fragezeichen: Kulturmanagement statt Klassenzimmer

Dann kam Corona. Und die große Frage: Weitermachen – oder verändern? Ich entschied mich für Letzteres. Ich kündigte meine Stelle, begann einen Master in Kulturmanagement – und landete für ein Praktikum bei BMW im Bereich Kulturengagement. Dort schrieb ich meine Masterarbeit und bekam erstmals Einblicke in kulturstrategische Prozesse aus Unternehmenssicht. Für viele wirkte dieser Schritt wie ein radikaler Bruch. Für mich war es das Gegenteil: eine logische Weiterentwicklung.
Nach dem Abschluss folgte der nächste Sprung: Ich arbeitete zwei Jahre in einer Münchner Kommunikationsagentur, Schwerpunkt: Markenstrategie und Zukunftskommunikation. Mein Chef war überzeugt: Menschen mit kulturellem Background denken anders – und oft besser. Ich lernte viel über Zielgruppen, Narrative, strategische Kommunikation. Und doch: Etwas fehlte. Kultur war nicht mehr mein Inhalt, sondern nur noch Kulisse.

Heute: Kultur gestalten statt nur vermitteln

Also ging ich weiter – zurück zur Kultur, aber auf anderer Ebene. Heute arbeite ich als Büroleiterin und strategische Referentin für den kulturpolitischen Sprecher der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg. Ich begleite politische Prozesse, bereite inhaltliche Positionen auf, entwickle Konzepte und arbeite an langfristigen kulturpolitischen Strategien. Hier kann ich all das einbringen, was mich ausmacht: meine Erfahrungen aus der musikalisch-pädagogischen Praxis, mein Wissen aus dem Kulturmanagement, mein strategisches Denken aus der Agenturzeit. Ich spreche heute nicht über, sondern mit den Menschen aus der Praxis. Ich weiß, wie es ist, mit zehn Kindern ein Keyboard zu teilen. Ich kenne die Realität auf Schulhöfen, in Kitas, in Musikräumen. Und ich weiß, was gute Rahmenbedingungen ausmachen – nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag.

Was mein Studium damit zu tun hat? Alles.

Nicht, weil ich heute noch Kinder unterrichte – sondern weil ich gelernt habe, kulturelle Prozesse zu verstehen, Menschen zu erreichen und Strukturen zu hinterfragen. Mein Studium war kein Berufsabschluss, sondern ein Startpunkt. Manchmal verläuft ein Berufsweg nicht gradlinig – und das ist völlig in Ordnung. Gerade in der Kultur sind Quereinstiege, Umwege oder vermeintlich „untypische“ Stationen keine Schwäche, sondern oft eine Stärke. Jede Station bringt neue Perspektiven und Kompetenzen mit sich, die das eigene Profil schärfen. Nur weil man mit Leidenschaft für Kultur arbeitet, heißt das nicht, dass man sich mit schlechten Arbeitsbedingungen zufriedengeben muss. Im Gegenteil: Menschen aus der Kultur bringen häufig ein besonderes Maß an Kreativität, Belastbarkeit und Flexibilität mit – Fähigkeiten, die auch außerhalb des klassischen Kulturbetriebs gefragt sind und mehr Anerkennung verdienen. „Was machst du eigentlich mit Musikerziehung?“. Heute antworte ich: Politik machen. Kultur ermöglichen. Räume schaffen. Mitgestalten. Und: Weitergehen. Immer wieder

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