Vom Archiv zur IT-Strategie: Mein Neustart als Historiker im IT Consulting
von
Dr. Bastian Linneweh-Kacmaz
| 22.11.2025
Der Historiker in der IT-Beratung
Meine berufliche Karriere hat sich in den letzten zwei Jahren extrem verändert. Als ausgebildeter Historiker mit einer Promotion in Wirtschafts- und Sozialgeschichte habe ich lange untersucht, wie sich historische Akteure verhalten, daneben an der Universität das klassische Leben als „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“ geführt.
Heute plane ich dagegen als Consultant mit meinen Kolleg:innen neue IT-Strategien und Lösungen und kümmere mich um die Unternehmenskommunikation. Zwischen diesen beiden Tätigkeiten liegen zwar inhaltliche und fachliche Unterschiede, aber auch zahlreiche Überschneidungen, die erst auf den zweiten Blick auffallen. Als Historiker fängt meine Analyse immer mit dem Anfang an.
Das Leben in der Akademie und der Weg raus
Als Geschichtsstudent musste ich mir die klassische Frage – „was mache ich nach dem Studium?“ – sehr häufig anhören. Gerade mit meiner damals ungewöhnlichen Kombi Geschichte/Sport. Nach meinem Fachmaster in Geschichte war ich mir aber recht schnell sicher, dass die nächste Station Promotion heißt. Ich bekam eine Doktorandenstelle in Göttingen und konnte mit meinem Projekt zum globalen Kautschukmarkt überzeugen.
Mein Ziel war es immer, mir alle Wege für eine akademische Karriere offen zu halten. So arbeitete ich an meiner Dissertation, gab Lehre, präsentierte mein Projekt auf Konferenzen im In- und Ausland, veröffentlichte Paper in Journals und warb Gelder ein. Nach 6 Jahren (mitten durch die Coronazeit) war ich mit der Promotion fertig und es stellte sich erneut die Frage: Weiter mit der Akademia oder den Zeitpunkt nutzen und raus?
Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Glücklicherweise ergab sich die Chance, übergangsweise für ein Jahr als Postdoc-Stelle in Göttingen zu arbeiten. Dadurch konnte ich den nächsten Abschnitt des akademischen Karrierepfad testen. Schnell merkte ich, dass ich die Arbeit zwar gern machte, aber die Strukturen an der Universität für mich aktuell keine langfristige Perspektive waren. Die Entscheidung die Akademia zu verlassen, stand – doch wohin?
Die lange Suche
Mithilfe meiner Frau und ihren Methoden aus dem Life Design Thinking erkannte ich langsam, was mir eigentlich im Job wichtig ist –kontinuierlich Neues zu lernen. Damit startete ich auch in die Arbeitssuche und fragte beim Arbeitsamt nach Weiterbildungskursen. Kleiner Tipp: zu Beginn des Jahres sind die Töpfe immer gut gefüllt. So bildete ich mich im Projektmanagement weiter und erhielt Zertifikate als Scrum Master und im Design Thinking.
Nach den motivierenden Weiterbildungen trat aber schnell Ernüchterung ein – Nur Absagen im Sommerloch. Doch jede Bewerbung half mir, mein Profil und meine Schwerpunkte zu schärfen. Ich wollte nun ins Wissenschaftsmanagement, ins Projektmanagement/Consulting. Bei vielen Stellen bekam ich aber die Antwort im Gespräch: „Ihre Uni-Zeit ist keine wirkliche Berufserfahrung“.
Schließlich waren es Glück und Kontakte, die mir im Herbst ein Gespräch bei einem Consulting Start-up ermöglichten. Der Schwerpunkt lag im IT-Bereich, eigentlich weit weg von meinem Fachgebiet, aber meine Weiterbildungen und mein analytisches Profil als Wissenschaftler wurden positiv aufgenommen. Die Gründer waren offen für motivierte Quereinsteiger und nach sehr positiven Gesprächen war klar: Das passt.
Die Arbeit als IT-Berater
Der Einstieg verlief überraschend gut. Vieles war neu, manches einschüchternd – etwa die technischen Begriffe, die ich am Anfang erst einmal googeln musste. Gleichzeitig merkte ich schnell, wie viel aus der Wissenschaft übertragbar war:
Schnelles Einarbeiten in komplexe Themen – in der Promotion mein tägliches Brot.
Strukturieren, Schreiben, Präsentieren – essenziell für Kundendokumentationen und Workshops.
Projekt- und Zeitorganisation – ohne das Setzen eigener Deadlines wäre weder Lehre noch Forschung möglich gewesen.
Perspektivwechsel – in den Geschichtswissenschaften eine Grundlage jeder Analyse, in der Beratung oft Grundlage jeder Lösung.
Heute plane ich gemeinsam mit meinen Kolleg:innen IT-Strategien, begleite Organisationsveränderungen und unterstütze die interne Kommunikation. Inhaltlich hat das wenig mit Geschichtswissenschaft zu tun, methodisch dafür sehr viel.
Was ich anderen mitgeben möchte
Mein Weg zeigt, dass Geisteswissenschaftler:innen wertvolle Fähigkeiten mitbringen, die in vielen Branchen gesucht und gebraucht werden. Der Jobmarkt stellte auch für mich eine große Hürde dar, aber jede Bewerbung und jedes Gespräch helfen die eigenen Kompetenzen noch besser zu verstehen.
Von Arbeitgebern würde ich mir aber etwas mehr Mut wünschen, Quereinsteiger:innen eine Chance zu geben. Denn hochmotivierte und äußerst flexibel einsetzbare Fachkräfte sind unerlässlich in unserer heutigen Welt.